Evi Sachenbacher
Hoch, höher, zu hoch
Ein Dopingbeweis sind die erhöhten Hämoglobin-Werte nicht. Trotzdem bleibt der Vorgang rätselhaft - der Verdacht auf Eigenblut-Doping liegt nahe.
Von Thomas Hahn und Thomas Kistner
Evi Sachenbacher-Stehle glühte vor Empörung, als sie am Dienstag in der Sendung von Johannes B. Kerner in eigener Sache vortragen durfte: Immerhin ging es auch um den Verdacht des Blutdopings – den sie entschieden in Abrede stellte.
Die deutsche Langlauf-Hoffnung war am Tag vor Beginn der Winterspiele bei einem Hämoglobin-Test des Skiweltverbandes Fis aufgefallen. Aus Gründen der Gesundheitsvorsorge, inoffiziell auch zur Doping-Prävention, verhängt die Fis Schutzsperren gegen Athleten, die mehr als 16,0 Gramm Hämoglobin pro Deziliter Blut (Frauen) beziehungsweise 17,0 (Männer) aufweisen, also über den natürlichen Grenzen liegen.
Ein Dopingbeweis ist das nicht, der nachfolgende Epo-Test war bei Sachenbacher negativ. Trotzdem bleibt der Vorgang rätselhaft: Ihr Wert betrug am 9. Februar laut Fis-Chefmediziner Bengt Saltin 16,4; sie wurde fünf Tage gesperrt. „So hoch war ihr Wert noch nie“, sagt Saltin, der über etwa 50 Vergleichswerte Sachenbachers seit 2001 verfügt.
Vier mögliche Erklärungen
Stets sei sie „so normal wie es nur geht“ gewesen, sei von 14,0 bis höchstens einmal 15,6 nach oben ausgerissen. Zugleich wunderte sich der Chefkontrolleur, „wie sie in nur fünf Tagen so viele rote Blutkörper zulegen konnte“. Denn am 4. Februar „hatte sie noch ein ganzes Gramm weniger“: 15,4.
Der Deutsche Skiverband (DSV) und Teamarzt Ernst Jakob bezweifelten die Fis-Messungen. Sie klagten gegen die Sperre Sachenbachers, die mit elf weitere Langläufern pünktlich zum Saisonhöhepunkt aussortiert wurde. Der Sportgerichtshof Cas schmetterte den Vorstoß der Deutschen jedoch ab. Erwartungsgemäß – meint nicht nur Saltin, der als seriöser Dopingfahnder gilt.
Beim nächsten Test am Montag lag Sachenbacher wieder unter dem Grenzwert. Sie startete, und der Hexenkessel von Turin schluckte den Wirbel. Dabei wirft der Fall exemplarisch die Frage auf, wie mit der Gesundheit von Athleten verfahren wird – und auch, ob der bei Schutzsperren stets mitschwingende Dopingverdacht in diesem konkreten Fall angebracht ist. Manches spricht dafür.
Experten wie der Münchner Hämatologe Christian Peschel oder der Zellforscher Werner Franke teilen Saltins Sicht, dass es für sprunghaft ansteigende Hämoglobinwerte nur vier Erklärungen gibt: eine genetische Anomalie, Höhentraining, eine starke Entwässerung des Körpers – oder Eigenblutdoping. Letzteres wird im Ausdauersport praktiziert, weil es die gängige Analytik nicht entdecken kann und allenfalls zu Schutzsperren führt – wenn der Hämoglobinwert zu hoch ist.
Zahlen "nie gesehen"
Im Fall Sachenbacher scheiden Höhentraining und extreme Dehydratation aus. Sie war von Davos nach Hause und dann nach Turin gereist, auch eine starke Entwässerung, verursacht etwa durch eine Durchfallerkrankung oder ein Powertraining ist nicht belegt. Die Läuferin betont, sie nehme stets viel Flüssigkeit zu sich, aber das trug der DSV nicht beim Cas vor.
Bliebe die genetische Besonderheit – die reklamiert Teamarzt Jakob schon seit 2003 beim Skiweltverband. Für eine Sondergenehmigung für Sachenbacher sieht Saltin indes „keinerlei Anlass“– sie sei in Dutzenden Tests ja niemals an den Grenzwert herangekommen.
Auch Jakob kann selbst auf hartnäckiges Befragen Saltin nichts Stichhaltiges entgegensetzen. Er hält die Vergleichsdaten der Fis für unzureichend, zweifelt an der Messgenauigkeit, die über so viele Jahre hinweg aber hätten auffallen müssen – und verweist immer wieder auf eine eigene Datensammlung zu Sachenbacher.
Diese Zahlen hat Saltin „aber nie gesehen“. Andererseits beruft sich offenbar die Athletin selbst auf diese mysteriöse Datei, etwa, als sie bei Kerner sagte: „Ich weiß meine Werte und ich weiß, dass sie immer an der Grenze sind.“ Sie warf Saltin deshalb Rufschädigung vor: „Der hat meine Werte genau vorliegen.“
"Das Wort genetisch nie benutzt"
Bleibt die Frage, warum der DSV sich beharrlich sträubt, seine angeblich vor allem im Sommer erworbenen hohen Sachenbacher-Werte offen zu legen. Teamarzt Jakob beruft sich auf seinen Berufskodex, er habe mit einer Veröffentlichung sogar ein Problem, wenn die Athletin zustimme. Indes hat Sachenbacher selbst in Interviews Werte von 15,9 bis 16,3 genannt.
Dass sich der DSV auf Zahlen beruft, die er niemandem vorlegen will, verstört Experten wie den Dopingforscher Franke. „Wenn Jakob Werte hat, die höher sind als die von Saltin, muss er sie darlegen. Da er selbst sagt, dass sie um die 16er-Grenze liegen, warum zeigt er sie nicht einfach?“
Am Freitag korrigierte Jakob die Sicht, dass bei der Läuferin genetische Veränderungen vorlägen. Das Wort genetisch habe er nie benutzt, sondern von familiär gehäuften Unterschieden gesprochen. Auch das hat Saltin anders in Erinnerung, und Franke fragt: „Wer Eltern angibt, gibt Genetik an. Was sonst haben Eltern mit Kindern gemeinsam?“
Saltin hofft, dass er im Juni eine Belastungsstudie mit Sachenbacher durchführen kann, das sei mit dem DSV bereits so abgesprochen. In Turin klingt auch das nun anders: Man habe nur ein Gespräch vereinbart, sagt Datensammler Jakob.